Hintergrund
Ohne Zweifel hat die Corona-Pandemie auf die bestehenden Trends der Digitalisierung wie ein Brandbeschleuniger gewirkt und Unternehmen quasi über Nacht zur Modernisierung gezwungen. Ob „Home-Office“, „Zoomifizierung“, „Hybrides Arbeiten“ oder “Remote Work“ – mittlerweile haben die meisten schon davon gehört.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation werden neue Arbeitskonzepte und Organisationsprinzipien unter dem Label „New Work“ weiter vorangetrieben. Die entscheidende Frage ist nun, ob Organisationen auch dem Anspruch gerecht werden, die Norm von New Work beziehungsweise die veränderten Erwartungen der Beschäftigten an Autonomie, Teilhabe und Sinnstiftung in diese Richtung zu erfüllen. Nachfolgend stellen wir Ihnen Ergebnisse aus unseren Beratungsprojekten als auch aktuelle Studien vor.
Arbeitsort-Autonomie
Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat im Rahmen des Verbundforschungsprojekts OFFICE 21® eine große Studie mit 2.100 Befragten durchgeführt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sich das Verhältnis der Beschäftigten zum selbstbestimmten und ortsunabhängigen Arbeiten als Normalität darstellt und von Beschäftigten verinnerlicht wurde, was wiederum zu einem Paradigmenwechsel bezüglich mobiler Arbeit führt. Dies mag sicherlich auch daher rühren, dass die Beschäftigten während der Pandemie die Vorzüge von Home-Office erfahren und erleben durften. So gaben 40 Prozent der Befragten an, im Home-Office produktiver zu arbeiten als im Büro. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Panel-Befragung der DAK mit drei Messzeitpunkten von 4.814 Befragten. Die Vorteile des Homeoffice überwiegen aus Sicht der Beschäftigten deutlich und werden größtenteils noch stärker wahrgenommen als vor Corona. Dazu gehört die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die empfundene Arbeitsproduktivität, Zeitgewinn und Zeitflexibilität (DAK-Gesundheit, 2020).
Bei einem von uns durchgeführten Projekt zur Einführung hybrider Arbeit gaben die Beschäftigten ebenfalls an, den Arbeitsort zukünftig flexibel im Rahmen von teaminternen (z. B. Abstimmungen) und organisationsweiten Regelungen (z. B. zu Entfernungslimit, Dauer) selbst wählen zu können.
Arbeitszeit-Autonomie
Die mit 1200 ProbandInnen durchgeführte Studie von Jobst-Jürgens (2021) untersuchte u. a. New-Work-Merkmale in Bezug auf die Bedürfnislage der am Arbeitsmarkt teilnehmenden Generationen. Wenig überraschend wünschen sich 69 % der ProbandInnen in einem für sie perfekten Job, dass die Qualität der Arbeitsergebnisse im Vordergrund steht und nicht die Stunden der Anwesenheit im Büro. Weiterhin wünschen sich 60,4 % für ihren perfekten Job, dass sie flexibel zwischen Voll- und Teilzeit wechseln können.
Bei unserem Projekt zur Einführung hybrider Arbeit wurde die angepasste Flexibilisierung der Arbeitszeit während der Corona-Krise als Best Practices-Erfahrung an dritter Stelle genannt. In der qualitativen Befragung wurde benannt, dass insbesondere Regelungen zur flexiblen Arbeitszeit eingeführt wurden, welche Kundenerfordernisse und persönliche Belange berücksichtigten.
Soziale Eingebundenheit
Als schwierig zu erfüllendes Kriterium von New Work muss während der aktuellen Pandemie laut der DAK-Studie die Möglichkeit zur sozialen Eingebundenheit – insbesondere bei ausschließlicher Heimarbeit durch fehlenden Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten – betrachtet werden.
Die Ergebnisse unserer qualitativen Befragung schlagen in die gleiche Kerbe. So zeigen die Ergebnisse, dass der fundamentale Wunsch bei den meisten Beschäftigten nach direktem Austausch in Präsenz besteht (z. B. in Form von fest definierten Teamtagen). Darüber hinaus wünschen sich die Beschäftigten kurze wöchentliche digitale Abstimmungen, Morgenmeetings und aktive digitale Onboarding Prozesse für Neubeschäftigte. Auch der informelle „Austausch“ soll in Form von Online-Kaffeerunden in das digitale Setting transformiert werden. Bickmeyer (2020) untersuchte die Auswirkungen von Videokonferenzen auf Kommunikationsprozesse in verschiedenen Organisationen und zeigt, dass die Erfahrung der „Entkörperlichung“ ein Defizitgefühl bei Beschäftigten hinterlässt. Die Herstellung von sozialer Eingebundenheit wird daher unserer Meinung nach, einer der am schwersten zu realisierenden Aspekte in zukünftigen hybriden Arbeitswelten.
SINN
Auf der Ebene der Arbeitstätigkeit zeigen Studien, dass die Bedeutsamkeit der Tätigkeit für andere ein zentraler Erfolgsfaktor für sinnstiftendes Arbeiten bewertet wird. Als organisationaler Erfolgsfaktor für sinnstiftendes Arbeiten erwies sich in Studien die wahrgenommene Zugehörigkeit (Schnell, 2018).
Das Institut „IZWA Zukunft. Wirtschaft. Arbeit“ befragte 134 Unternehmen in Deutschland und kam zu dem Ergebnis, dass die beruflichen Tätigkeiten während der Pandemie (60% Zustimmung) weniger sinnerfüllend wahrgenommen wurde als vor der Pandemie (69% Zustimmung). Kesselmann & Böhnke (2021) vermuten, dass im sozialen Vergleichsprozess die Relevanz bzw. Wichtigkeit der eigenen Tätigkeit für die Gesellschaft, im Vergleich zu systemrelevanten Berufen abnimmt.
Da die wahrgenommene Zugehörigkeit (soziale Eingebundenheit) nach Schnell (2018) den wichtigsten organisationalen Faktor zum Sinnerleben darstellt und bisherige Erkenntnisse auf Schwierigkeiten der sozialen Eingebundenheit hindeuten, wird dieser Faktor einen erheblichen Einfluss auf das Erleben von Sinn haben. Vor dem Hintergrund steigender Remote-Arbeit müssen Organisationen dem Sinnerleben der Beschäftigten mehr Bedeutung beimessen und dieses aktiv fördern.
Schlussfolgerung
Alles in allem deuten die Erfahrungen aus Projekten und vorliegenden Studienergebnisse darauf hin, dass Beschäftigte nach der Coronapandemie mehr Freiheiten bezüglich Arbeitsort und Arbeitszeit erhalten werden. Das Gefühl in einem Team bzw. einer Organisation sozial eingebunden zu sein und trotzdem hohe Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie zu erleben, wird eine Frage des Ausgleichs. Darüber hinaus hängt das Erleben von Sinn stark mit der wahrgenommenen Zugehörigkeit zusammen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen wiederum, dass die wahrgenommene Zugehörigkeit bzw. soziale Eingebundenheit während der Pandemie im Empfinden der Beschäftigten gesunken ist. Dies gilt es weiterhin zu beobachten.
Daher gilt es Maßnahmen zielgruppenspezifisch auf Basis von Diagnostik zu konzipieren. Organisationen müssen prüfen, ob sich ihre Beschäftigten in und mit unterschiedlichen Modellen autonom/selbstbestimmt, sozial eingebunden, sinnerfüllend und kompetent fühlen, wenn sie hin zur Zielstellung „New Work“ arbeiten wollen. Schließlich sollten Beschäftige laut Frithjof Bergmann eine „Arbeit tun, die man wirklich, wirklich will“.
Literatur
Bickmeyer, A. Zoomication (2021). The New Normal? Observations and experiences in the light of Covid in 2020. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 1-8.
DAK-Gesundheit (2020). Digitalisierung und Homeoffice in der Corona-Krise. Sonderanalyse zur Situation in der Arbeitswelt vor und während der Pandemie. Online verfügbar https://www.dak.de/dak/download/folien-2295280.pdf (abgerufen am 08.07.2021).
Kesselmann, M. & Böhnke, J. (2021). Die Corona-Krise als Treiber für New Work. wirtschaftspsychologie aktuell, 2021, 34-39.
Jobst-Jürgens, V. (2020). New Work als natürliche Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen. In New Work (S. 9–19). Springer Fachmedien Wiesbaden.
Jurecic, M., Rief, S. & Stolze, D. (2021). Office Analytics. Erfolgsfaktoren für die Gestaltung einer typbasierten Arbeitswelt. Stuttgart: Institut Fraunhofer IAO.
Schnell, T. (2018). Von Lebenssinn und Sinn in der Arbeit. In Fehlzeiten-Report 2018 (S. 11-21). Springer, Berlin, Heidelberg.