Mehr Fehltage als je zuvor durch psychische Erkrankungen
Die moderne Arbeitswelt ist geprägt von digitaler Transformation, Globalisierung und einer zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen. Traditionelle Arbeitsstrukturen und -modelle geraten an ihre Grenzen. Zugleich haben im Vergleich zu den anderen Krankheitsarten die psychischen Erkrankungen heute für Unternehmen und Gesellschaft eine besondere Bedeutung. Seit 2010 haben die Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen um 56% zugenommen. Die durchschnittliche Falldauer psychischer Erkrankungen war im Jahr 2020 mit 30,3 Tagen je Fall mehr als doppelt so lang wie die durchschnittliche Falldauer von 13,8 Tagen.
Gesetz nimmt Arbeitgeber:in in die Pflicht
Die Arbeits- und Organisationsbedingungen haben dabei einen erheblichen Einfluss auf die individuelle psychische Gesundheit der Beschäftigten (Meyer et al., 2021, S. 443, in Fehlzeiten-Report 2021). Daher verpflichtet die Gesetzgeberin, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst geringgehalten wird (§ 4 ArbSchG). Hierzu hat die Arbeitgeberin gem. §5 Abs. 1 ArbSchG „durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“. Dabei sind auch Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit zu berücksichtigen (§ 5 (3) ArbSchG). Das Gesetz fordert, an den Arbeitsbedingungen anzusetzen: Gefahren sind – unter Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse – an ihrer Quelle zu bekämpfen.
Die rechtlichen Aspekte der Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung unterstreichen ihre Bedeutung als New Work-Thema. New Work beinhaltet u. a. eine Neudefinition von Arbeit ausgerichtet auf die Beschäftigten und fordert Anpassungen der Arbeitsorganisation, um den Anforderungen und Erwartungen der Beschäftigten gerecht zu werden. Dieser Paradigmenwechsel (als Norm) erfordert neben den rechtlichen Grundlagen des Arbeitsschutzgesetztes eine umfassende Betrachtung der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz.
Was sind Psychische Belastungen
Psychische Belastungen betrifft die „Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf einen Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen“ (DIN EN ISO 10075-1, 2017, S. 6). Die Begriffsdefinition macht darauf aufmerksam, dass Psychische Belastungen erst einmal neutral sind. Genau genommen sind mit Psychischen Belastung die Arbeits- und Organisationsbedingungen gemeint, die je nach individuellen Vorrausetzungen zu unterschiedlichen Auswirkungen führen – der psychischen Beanspruchung. Sie wird definiert als „unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinem aktuellen Zustand“ (DIN EN ISO 10075-1, 2017, S. 7). Die psychischen Beanspruchungen können positiv sein z. B. Anregungseffekte und Motivation oder aber auch negativ, wie z. B. Monotonie oder psychische Ermüdung.
„Welche Belastungsfaktoren im Einzelnen zu berücksichtigen sind, ist mit Blick auf die konkreten Tätigkeitsanforderungen und Bedingungen der zu beurteilenden Arbeit zu entscheiden. Tätigkeits- und branchenübergreifend relevante Schlüsselfaktoren der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sind die Gestaltung von Arbeitsintensität, Arbeitszeit, Handlungsspielraum, sozialen Beziehungen insb. zu Vorgesetzten sowie der Belastung durch Arbeitsumgebungsfaktoren insb. Lärm. Diese Faktoren sind daher grundsätzlich in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen“ (GDA, 2018, S.20).
Gefährdung durch psychische Belastung bei der Arbeit liegt vor, wenn von der Möglichkeit eines Schadens für die Gesundheit der Beschäftigten auszugehen ist, ohne nähere Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder Schwere des gesundheitlichen Schadens.
GBU ist der Prozess zur Erfüllung der Gesetzesanforderung
Die Gefährdungsbeurteilung ist dabei ein Prozess, in dem auf Grundlage einer Beurteilung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdung erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten systematisch ermittelt, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Zweck der Gefährdungsbeurteilung ist es nach § 4 ArbSchG, die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (vgl. GDA, 2022, S.7). Darüber hinaus werden nach (§ 2 (1) ArbSchG unter „Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ auch einschließlich „Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ definiert, sodass die gesetzliche Gefährdungsbeurteilung auch ein Prozess ermöglicht, der dem normativen Charakter von New Work entspricht, wie die Arbeit der Zukunft sein sollte: partizipativ, selbstbestimmt und sinnstiftend.
GBU ist Teil des New-Work Puzzles
Die Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung steht im Einklang mit den Prinzipien von New Work, da sie auf die Bedürfnisse der Beschäftigten fokussiert, eine partizipative Gestaltung der Arbeitsbedingungen ermöglicht und eine gesunde Arbeitsumgebung fördert. Der Wandel der Arbeitswelt erfordert eine neue Herangehensweise an die Arbeitsgestaltung, bei der die psychische Gesundheit und Belastung der Beschäftigten berücksichtigt werden. Neben den Prinzipien von New Work spielt auch die Einhaltung rechtlicher Vorgaben, wie dem Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung eine wichtige Rolle. Durch die systematische Erfassung und Prävention psychischer Belastungen können Unternehmen nicht nur den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden, sondern auch das Wohlbefinden und die Produktivität ihrer Mitarbeiter langfristig fördern.
Unsere NWI Berater:innen unterstützen Sie gern bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung.
Literatur
DAK Gesundheit (2022). Psychreport 2022. Entwicklung der psychischen Erkrankungen im Job: 2011 – 2021.
EN ISO 10075-1 (2018). Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgemeine Aspekte und Konzepte und Begriffe. Berlin: Beuth.
GDA (2018). Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Berlin: GDA.
GDA (2022). Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung. Empfehlungen zur Umsetzung in der betrieblichen Praxis. Berlin: GDA.
Meyer, M., Wing, L., Schenkel, A., & Meschede, M. (2021). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2020. Fehlzeiten-Report 2021: Betriebliche Prävention stärken – Lehren aus der Pandemie, 441-538.