Was ist Unternehmenskultur
Unternehmenskultur – Wovon sprechen wir eigentlich?
Im Zuge der Digitalisierung und der anstehenden Veränderung der Arbeitswelt ist immer mehr von Unternehmens- bzw. Organisationskultur zu hören und zu lesen. Dies lässt darauf schließen, dass den sogenannten weichen Faktoren zunehmend mehr Beachtung geschenkt wird. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hebt in Ihrem Grünbuch Arbeiten 4.0 (2015) als wichtige politische Gestaltungsaufgabe hervor, die Rahmenbedingungen für nachhaltige Unternehmenskulturen zu schaffen. Das Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesminesteriums für Arbeit und Soziales können Sie HIER herunterladen.
Es entsteht aber auch der Eindruck, dass die Begrifflichkeiten geradezu inflationär verwendet werden. So werden Manifestationen der Kultur, wie das Arbeitsklima, Zielvereinbarungssysteme oder das Leitbild mit der Kultur selbst verwechselt. Oftmals wird aus nur einem Aspekt der Unternehmenskultur, wie bspw. Kommunikation oder Mitarbeiterempowerment, auf dessen Gänze geschlossen. Diese Art von Kulturverständnis ist grundsätzlich nicht falsch, deckt aber nur einen Bruchteil dessen ab, was Organisationskultur tatsächlich ausmacht. Daher gilt es nachfolgend zu klären, was Organisationkultur ist und warum sie wichtig ist. Des Weiteren erfahren Sie auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln die Unternehmenskultur erfasst und schließlich verändert werden kann.
„Culture eats strategy for breakfast!“ (Peter Drucker)
Sind sie dem Begriff der „Organisationskultur“ schon mal als Ursachenerklärung für das Scheitern großer Unternehmen wie Nokia oder Kodak begegnet? Der vom Economist publizierte Artikel „The Last Kodak Moment“ beschreibt Kodak als das Google seiner Zeit. Kodak war seit über 100 Jahren ein dominierendes Unternehmen und hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt nahezu ein Monopol auf dem Markt in den USA. Die Dominanz des Unternehmens erstreckte sich auf die Entwicklung einiger der ersten Digitalkameras in den 1970er Jahren – Kodak erfand und patentierte tatsächlich den zukünftigen Grundstein der Fotografie, versäumte es aber, die Ideen auf dem Markt zu verwerten.
Das gut publizierte Versagen von Kodak war kein Ideenversagen, es war ein Kulturversagen. Die Kultur von Kodak war nicht in der Lage, die Ideen zu operationalisieren und auf den Markt zu bringen. Insbesondere die Systeme und Strukturen der strategischen Entscheidungsfindung führten dazu, dass das Unternehmen zu langsam war, um sich an das sich schnell verändernde externe Umfeld anzupassen, sodass mit der Veröffentlichung einer neuen Reihe von Digitalkameras durch die Konkurrenz der Untergang unvermeidlichen wurde.
Modell zur Unternehmenskultur
Kultur treffen wir überall da an wo Menschen zusammenkommen, eine Gruppe bilden und gemeinsame Erfahrungen machen. Damit ist Kultur zu aller erst immer eine Gruppeneigenschaft. Sie entsteht nach Schein (2003), „wenn eine Lösung für ein Problem immer wieder funktioniert, dann wird sie allmählich als selbstverständlich betrachtet“. Nachfolgend wächst sie mit dem Aufbau von Strukturen und Prozessen. Die Stärke der Kultur innerhalb der Organisation ist je nach Entwicklungsstadium unterschiedlich. Beispielsweise ist der Gründereinfluss in Start-Ups maßgeblich und die Organisationskultur spiegelt die Werte der Gründer wieder. Außerdem können sich in Organisation unterschiedliche Subkulturen bilden.
Drei-Ebenen-Modell
Der bekannteste Ansatz zur Organisationskultur ist das Drei-Ebenen-Modell von Schein, welcher die Ebenen Artefakte, öffentlich propagierte Werte und unausgesprochenen gemeinsame Annahmen unterscheidet.
Ebene der Artefakte
Artefakte beschreiben sichtbare Organisationsstrukturen und- Prozesse einer Kultur, z.B. die eingesetzten Technologien, Architektur, die Sprache und beobachtbares Verhalten. Denken Sie an Dienstleistungsorganisationen, wo sie als Kunde vor Ort waren und bemerkten, dass sich alle Angestellten duzen und in einem großen Raum zusammenarbeiten. In wieder anderen Organisationen sind die Türen meist geschlossen und es wird bedächtig geradezu gehemmt mit Ihnen gesprochen. Jede dieser beobachtbaren Artefakte wird in der erlebten Situation bei ihnen ein gewisses Gefühl ausgelöst haben. Artefakte sind zwar beobachtbar und erlebbar, jedoch häufig nicht zu entschlüsseln.
Ebene der propagierten Werte
Das führt uns auf die Ebene öffentlich propagierten Werte. Sie haben gerade in einem neuen Unternehmen angefangen und beobachtet, dass die Bürotür meistens offen steht (Artefakt) und fragen ihre Kollegin, ob sie dies auch tun sollten. Nun erfahren sie meist zuerst von den öffentlich propagierten Werten. Möglicherweise erfahren sie von Werten aus dem Leitbild (z. B. Kreativ, Offen, Teilhabe, Unternehmerisch) und wundern sich, dass ihr altes Unternehmen in dem die Bürotüren immer geschlossen waren genau dieselben Werte vertritt.
Allgemein bestimmen Werte, was Menschen für richtig oder falsch halten (vgl. Schein, 1985). Je länger sie in dem Unternehmen arbeiten umso mehr bemerken sie, dass die beobachtbaren Artefakte sich wenig mit dem decken, was an Werten propagiert wurde. Ihr aktuelles Unternehmen propagiert ein hohes Maß an Partizipation?, aber die Organisationsleitung sorgt nicht einmal für transparente Informationen bei strategischen Entscheidungen, geschweige denn, dass sie zu den Entscheidungen befragt wurden. Oder es wird wie überall üblich Teamarbeit und Zusammenhalt propagiert, aber sämtliche Belohnungssysteme sind auf die individuelle Leistung ausgerichtet. Nach Schein (2003) zeigen diese Widersprüche, dass beobachtbare Artefakte von einer tieferen Denk- und Wahrnehmungsebene gesteuert werden, was uns zu der nächsten Ebene der unausgesprochenen gemeinsamen Annahmen führt.
Ebene der unausgesprochenen gemeinsamen Annahmen
Die Ebene der unausgesprochenen gemeinsamen Annahmen kann mit der Ebene der Werte übereinstimmen, muss es aber nicht. Nach Schein (2003) stellen die gemeinsamen Werte, Überzeugungen und Annahmen als Ergebnis eines gemeinsamen Lernprozesses, die Essenz der Organisationskultur dar. Wenn eine Lösung für ein Problem einer Organisation immer wieder funktionierte, dann werden die Art der Umsetzung, die Überzeugungen, Werte nach und nach selbstverständlich und zu gewissen Einstellungen der Beteiligten. Mit der Aktivierung einer Einstellung kommt es simultan sowohl zu bestimmten Kognitionen (Wahrnehmungen, aber auch Meinungen) wie auch zu bestimmten Gefühlen, und einer Handlungsabsicht, die ein bestimmtes Verhalten ohne weitere Reflexion und Verzögerung automatisch auslösen kann. In den meisten Fällen sind die gemeinsamen Grundannahmen den Mitgliedern einer Organisation nicht bewusst, sie wissen nur, dass sowie wie sie es machen, funktioniert.
Unternehmenskultur erheben
Obwohl die meisten Studien nicht miteinander zu vergleichen sind, ist der Zusammenhang zwischen Organisationskultur und -erfolg empirisch für direkte wie auch indirekte Effekte bestätigt. Folglich steht eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung, um die Organisationskultur zu erfassen.
Quantitative oder qualitative Erhebung
Die Organisationskultur basiert auf vielfältigen Konzipierungsweisen (siehe Ott 1989; Van der Post, De Coning und Smit 1997), welche sich auch in der Art der Erfassung (quantitative vs. qualitativen) widerspiegeln. Die quantitative Erfassung erfolgt i.d.R. mit einem Fragebogen, welcher die Erfassungen auf der Ebene der Artefakte (dazu zählen auch Praktiken und Normen) und der propagierten Werte ermöglicht. Allerdings weißt Schein (2003, S.91) darauf hin, dass so gesehen eigentlich nur das Organisationsklima als „Spiegel der Artefakte“ gemessen wird, was wiederum bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtig werden muss. Um an die gemeinsamen und unausgesprochenen Grundannahmen zu gelangen, führt kein Weg an qualitativen Verfahren, wie bspw. Fokusgruppen oder Interviews, vorbei.
Dimensionale oder Typologische Messungen
In der Literatur werden dimensionale von typologischen Messungen und sowie Kombinationen davon unterschieden. Bei den typisierenden Maßen wird die Unternehmenskultur einem bestimmten Kulturtyp zugeordnet, z. B. Instrumente wie Culture Types nach Cameron & Freeman (1991), das Core Culture Model von William Schneider (2000), Organizational Ideologies von Harrison (1975). Die dimensionale Messung wiederum erfasst verschiedene Dimension oder Profile der Kultur. Dies hat den Vorteil auf relevante Merkmale innerhalb des organisationalen Settings zu setzten.
In der Literatur werden über 100 Dimensionen identifiziert (Jung et al., 2009). Einige bekannte Instrumente sind der Organizational Culture Survey von Denison (1990), Organizational Culture Profile von O‘Reilly et al. (1991), oder der Organizational Culture Profile von Ashkanasy et al. (2000). Bezüglich der Auswahl von quantitativen und qualitativen Ansätzen empfiehlt bspw. Sackmann (2006) einen Ansatz mit dem Daten aus unterschiedlichen Quellen und Datenarten gewonnen werden, was wiederum mit einem nicht unerheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden ist. Die Auswahl eines geeigneten Erhebungsdesign stellt somit kein einfaches Unterfangen dar.
Veränderung der Kultur
Die Beurteilung, ob eine Kultur noch gut für die Organisation ist, hängt davon ab, dass die unausgesprochenen gemeinsame Annahmen eine im Organisationsumfeld funktionale Strategie und Struktur schaffen (vgl. Schein, 2003). Organisationskultur muss deshalb ernstgenommen werden, da sich Ihre Auswirkungen antizipieren lassen. Sofern die Organisationskultur nicht thematisiert wird, werden die Mitglieder sich kulturabhängig verhalten, weil sich die Kultur „hinter ihrem Rücken“ durchsetzen kann.
Die Analyse der Kultur ist immer schon als Intervention zu verstehen, da sie unweigerlich Erwartungen wecken wird. Sie hilft vor allen Dingen die Wahrnehmungen und Erwartungen der Mitarbeitenden fassbar zu machen und mit der Geschäftsleitung abzugleichen. Mitarbeitende werden wahrgenommen und involviert, können und sollen verstehen, ob die Kultur im Kontext zum Umfeld (Markt) passend ist. Somit können Mitarbeiter auch für Veränderungen verständigungsorientiert abgeholt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales betont in Ihrem Grünbuch Arbeiten 4.0 (2015) die Wichtigkeit partizipativer Prozesse: „Entscheidend für die Zukunft von Branchen und Unternehmen ist ihr Innovationspotenzial und ihre Fähigkeit, Wandlungsprozesse erfolgreich zu bewältigen – das ist im Oderbruch und im Rheintal nicht anders als im Silicon Valley“ (S. 69) und hebt die demokratische Teilhabe als das zentrale Prinzip einer guten Unternehmenskultur hervor, denn sie sind die Grundlage für Kreativität, Offenheit Engagement und führen zu organisationalem Lernen.
Vorgehen
Nach der Auswahl der Methode und geeigneter Erhebungsinstrumente sowie dem Erhebungsdesign werden i.d.R. die IST-Kutur erfasst sowie die SOLL-Kultur bestimmt. Zur Auswahl von relevanten Dimensionen kann diesbezüglich zum Teil auf aktuelle empirische Ergebnisse zu Zusammenhängen zwischen Kulturdimensionen und Erfolgsindikatoren zurückgegriffen werden. Die SOLL-Kultur leitet sich i.d.R. aus der definierten Unternehmensstrategie und dem Markt der Organisation ab. Aber auch eine empirische SOLL-Bestimmung durch die MitarbeiterInnen ist denkbar – besonders dann – wenn selbige an der zukünftigen kulturellen Ausrichtung maßgeblich beteiligt werden sollen. Dies setzt wiederum eine Kultur voraus, welche eher bei Start-Ups anzutreffend ist.
Wichtig ist zu verstehen ist, dass eine einzige Erhebung im Querschnittsdesign immer nur eine Zustandsbeschreibung darstellt und keine Aussagen zu kausalen Zusammenhängen möglich sind. Im besten Fall zeigt sich, das die Ergebnisse optimal sind. Realistischer ist aber, dass sich selbst in den gesündesten und innovativsten Organisationen vereinzelter Handlungsbedarf zeigt. Kausale Interpretationen über Ursache und Wirkung werden erst möglich, wenn zu mindestens zwei Erhebungszeitpunkten Daten erhoben werden.
Handlungs- und Gestaltungsbedarf
Ein Handlungs- und Gestaltungsbedarf ergibt sich primär aus dem Übereinstimmungsmaß zwischen der aktuell gemessenen IST-Kultur und der definierten SOLL-Kultur. Des Weiteren können auch je nach Erhebungsinstrument und vom Anbieter zur Verfügung gestellte Normwerte zum Vergleich herangezogen werden; dabei sollte aber ausdrücklich betont werden, dass die Interpretation der Daten nicht mechanisch an den Durchschnitts- und Normwerten erfolgen sollten, sondern die Werte betriebsspezifisch zu deuten sind (vgl. Rosenstiel, 1992).
Ergebnissdarstellung
Die Verbreitung und Vermittlung der Ergebnisse erfolgt idealerweise vollständig an alle und nicht nur an auserwählte Mitglieder der Organisation. Bisherige Untersuchungen zeigen (z. B. Hand, Estafen & Sims, 1975; Bowers & Hausser, 1977), dass die Motivation der Organisationsmitglieder sich konkret verändernd mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen, im Anschluss an Ergebnispräsentationen von Mitarbeiterbefragungen erkennbar zunimmt. Des Weiteren hat eine organisationsweite Ergebnispräsentation Signalcharakter und vergrößert den Grad der subjektiven Situationskontrolle (Gebert, 1995).
Sie interessieren sich für eine Analyse ihrer Kultur im Rahmen einer sich verändernden Arbeitswelt?
Sie streben einen kulturellen Wandel, bspw. von einer Präsenzkultur zur Vertrauenskultur, an?
Literatur
Ashkanasy, N.M.; Broadfoot, L.E. & Falkus, S. (2000). Questionnaire Measures of Organizational Culture. In Ashkanasy, N.M.; Peterson, C.P.M. & Wilderom M.F. (Hrsg.), Handbook of Organizational Culture & Climate. Thousand Oaks, CA: Sage, 129-145.
Bowers, D.G. & Hausser, D.L. (1977). Work group types and intervention effects in organization development. Administrative Science Quarterly, 22, 76-94.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015). Grünbuch Arbeiten 4.0. Arbeit weiter denken. DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH, Berlin.
Cameron, K.S. & Freeman, S.J. (1991). Cultural Congruence Strength and Type: Relationships to Effectiveness. Research in Organizational Change and Development, 5, 23-58.
Denison, Daniel R. (1990). Corporate Culture and Organizational Effectiveness. New York: Wiley.
Hand, H., Estafen, B. & Sims, H. (1975). How effective is data survey and feedback as a technique of organizational development? Journal of Applied Behavioral Science, 11, 333-347.
Gebert, D. (1995). Interventionen in Organisationen. In H. Schuler (Hrsg.). Lehrbuch der Organisationspsychologie. Bern: Huber, 481-494.
Harrison, R. (1975). Diagnosing Organization ideology. In Jones, J.E. & Pfeiffer, J.W. (Hrsg.). The 1975 Annual Handbook for Group Facilitators. San Diego, CA: University Associates, Inc.,1-5.
Jung, T., Scott, T., Davies, H. T., Bower, P., Whalley, D., McNally, R., & Mannion, R. (2009). Instruments for exploring organizational culture: A review of the literature. Public administration review, 69(6), 1087-1096.
O’Reilly C.A. III.; Chatman, J. & Caldwell, D.F. (1991). People and Organizational Culture: A Profile Comparison Approach to Assessing Person-Organization Fit. Academy of Management Journal, 34(3), 487-516.
Ott, J. Steven (1989). The Organizational Culture Perspective. Chicago: Dorsey Press.
Sackmann, S. A. (2006). Welche kulturellen Faktoren beeinflussen den Unternehmenserfolg. Universität der Bundeswehr München, Neubiberg.
Schein, Edgar H. (1985). Organizational Culture and Leadership. San Francisco: Jossey-Bass.
Schein, E. H. (2003). The Ed Schein corporate culture survival guide. EHP, Bergisch Gladbach.
Schneider, W. E. (1994). The reengineering alternative: A plan for making your current culture work. Homewood, IL, US: Richard D Irwin.
Van der Post, W. Z., T. J. de Coning, and E. M. Smit. (1997). An Instrument to Measure Organizational Culture. South African Journal of Business Management 28(4), 147–168.
Von Rosenstiel, L. (1992). Betriebsklima geht jeden an!. Bayer. Staatsministerium für Arbeit, Familie u. Sozialordnung.