Partizipation verstehen
„Entscheidend für die Zukunft von Branchen und Unternehmen ist ihr Innovationspotenzial und ihre Fähigkeit, Wandlungsprozesse erfolgreich zu bewältigen – das ist im Oderbruch und im Rheintal nicht anders als im Silicon Valley. Mitgestalten, mitwirken und mitbestimmen sind die zentralen Prinzipien einer guten Unternehmenskultur – denn sie sind die Grundlage für Kreativität, Offenheit und Engagement“ (BMAS, 2015). Das Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesminesteriums für Arbeit und Soziales können Sie unter diesem LINK herunterladen. Nachfolgend erfahren Sie, wie Sie Partizipation verstehen und messen können.
Partizipation als Dauerthema jeder Organisation
Da in einer Organisation immer die Zusammenarbeit geregelt sein muss, unterstellen sich die Organisationsmitglieder einer einheitlichen Disposition (Einteilung, Anordnung, Verteilung) um sich nach den organisationalen Zielen auszurichten. Daraus ergibt sich immer ein (Herrschafts)problem: „wer denn eigentlich wie die zusammengelegten Ressourcen disponiert?“ – sichtbar an Führungsaktivitäten innerhalb der Organisation. Da der Begriff „Partizipation“ immer auch eine Teilhabe an der Ausübung von Macht impliziert (Wunderer & Grunwald, 1980), können Führung und Partizipation als zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden (Wilpert, 1993). Partizipation ist demnach aus drei Gründen ein brisantes Dauerproblem jeder Organisation (Scholl, 2007):
- Umso größer eine Organisation ist, umso schwieriger ist eine Beteiligung aller Mitglieder an Entscheidungen. Mit abnehmender Entscheidungsbeteiligung wächst die Gefahr Mitarbeiterbedürfnisse und -Interessen nicht zu berücksichtigen.
- Die Neigung, Macht zu teilen, wird bei vielen „Machthabern“ sehr gering ausgeprägt sein.
- Die Machtkonzentration an der Spitze führt sehr leicht dazu, dass das Wissen und die Fähigkeiten der Untergebenen nicht mehr oder zu wenig genutzt werden.
Gleichzeitig besteht eine Notwendigkeit partizipativer Prozesse. Weber erläutert im Bereich der Arbeitswissenschaften (1999) selbige zumeist mit Blick auf:
- Die Förderung des unternehmerischen Denkens der MitarbeiterInnen und der Wettbewerbsfähigkeit der Organisation, z.B. durch höhere Identifikation, eine bessere Entscheidungsgüte und -akzeptanz, bessere Kooperation sowie eine höhere Leistungsmotivation.
- Die Förderung humanistisch (demokratisch) motivierter Ziele, insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung der Arbeitnehmer durch das Angebot von vollständigen, lernförderlichen Arbeitstätigkeiten.
- Die Förderung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele wie z.B. die Herstellung von Lohn und Gehaltsgerechtigkeit, die Vermögensbildung der Mitarbeiter im Zuge der Beteiligung am Unternehmensertrag oder die Vermeidung von unnötigen Konflikten der Tarifparteien.
Was ist eigentlich Partizipation
Partizipation meint u.a. die Teilhabe, Teilnahme oder Beteiligung an einem bestimmten Prozess. Die Wortherkunft lässt dabei weitgehend offen um welche Art von Prozess es hierbei eigentlich geht und wie eine Teilhabe oder Beteiligung eigentlich zu gestalten ist. Partizipation ist dann sehr viel, z. B. eine offizielle Information, die Befragung einer Person, die gesetzlich legitimierte Wahl einer Person, der Austausch von Objekten, ein informelles Gespräch oder erzwungene sowie eine selbst gewählte Teilnahme. Es wird äußerst selten debattiert, wer eigentlich das Subjekt der Partizipation ist – eine Begriffsverwirrung ist die Folge. Deswegen wird nachfolgend Licht ins dunkel gebracht.
Zur genauen Klärung des Begriffes unterscheidet Wegge (2004) drei verschiedene Grundformen der Partizipation verstanden als Teilhabe an der Macht im betrieblichen Kontext:
- Die Personale unmittelbare (eher gewährte) Partizipation von MitarbeiterInnen in dyadisch stattfindenden Prozessen an betrieblichen Entscheidungen.
Z. B. fragt die Vorgesetzte nach der Meinung ihrer MitarbeiterInnen und übergibt Aufgaben ohne längerfristige Verantwortung. Auf dieser Ebene sind Beschäftigte eher als Objekt partizipativer Prozesse zu verstehen. - Die eher längerfristige Delegation von Autorität und Verantwortung an Personen und Gruppen von Vorgesetzten.
Auf dieser Ebene werden MitarbeiterInnen dauerhaft ermächtigt, z. B. Teilautonome Arbeitsgruppen, MitarbeiterInnen erhalten ein eigens Budget oder Urlaubsplanung. - Die finanzielle Miteigentümerschaft (Kontrollrecht) bzw. Beteiligung der Mitarbeiter am Gewinn (Ertragsrecht).
Zentrale Dimensionen personaler Partizipation in Organisationen
Da die Teilhabe von Beschäftigten auf vielfältige Weise erfolgen kann, sind in der Praxis verschiedene Partizipationsformen anzutreffen. In der Literatur werden verschiedene Dimensionen und Merkmale unterschieden.
- Legitimationsgrundlage (formal oder informell).
- Beteiligte (Individuen, Gruppen, Arbeitsbereiche, etc.).
- Beteiligungsform (direkte und indirket- z. B. über gewählte Vertreter).
- Frequenz (kontinuierlich vs. diskontinuierlich).
- Zeitpunkt der Entscheidung (Problemidentifikation, Umsetzung einer Problemlösung, Problemauswahl).
- Gegenstand der Entscheidung (z. B. der Vorgabe und Kontrolle von Zielen, Mitteleinsätze, Arbeitsplanung, Lohngestaltung, usw.).
- Grad der Partizipation (Ausmaß, in dem Einfluss auf den Verlauf und Ausgang von betrieblichen Entscheidungen genommen werden kann; siehe Bild).
Warum wirkt sich personale Partizipation positiv auf die Leistung der MitarbeiterInnen aus?
Die kognitive und die motivationale Argumentationslinien zeigen auf, warum sich personale Partizipation auszahlt.
Auf der kognitiven Linie zeigt die Forschung, dass Partizipation die Kommunikation und Koordination, das Verständnis der eigenen Arbeit sowie die Nutzung von Kompetenzen fördert, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und Leistung der Partizipierenden hat.
Die motivationale Argumentationslinien in der Forschung sind vielfältiger und können nur angerissen werden. Allgemein werden menschliche Grundbedürfnisse wie Anerkennung, Kontakt, Selbstbestimmtheit, Erleben von Kompetenz befriedigt, was u. a. die Motivation zum unternehmerischen Handeln fördert. Des Weiteren führt Beschäftigtenpartizipation dazu, dass Leistungs- und Erfolgserwartungen der Mitarbeiter geklärt bzw. erhöht werden und damit Vorschläge von Führungskräften eher akzeptiert werden – in diesem Zusammenhang wird von einer starken Zielbindung gesprochen.
Vorbedingungen erfolgreicher personaler Partizipation
In der Forschung bestehen wenige aber bemerkenswerte Befunde zu Vorbedingungen für ein erfolgreichen Einsatz von Mitarbeiterpartizipation (siehe u. a. Wegge et al., 2010; Wegge, 2004).
- Gegenseitiges Vertrauen der Partizipationsbeteiligten (meint die Erwartungshaltung, dass sich in der Zusammenarbeit die Gegenpartei fair oder wie vereinbart verhält).
- Fachliche und soziale Kompetenzen von Führungskräften.
– Fachlich (z. B. angemessenes Wissen zur Problemlösung)
– Sozial (z. B. Konfliktmanagement, Moderationsfertigkeiten, die prozedurale
Gerechtigkeit) - Wunsch nach Partizipation der Beteiligten.
Dieser Faktor ist besonders wichtig, da einige Studien zeigen das z. B. insbesondere nicht gewollte Verantwortungsübernahme einen Stressor darstellen. Weiterhin zeigte sich in Studien, dass weder zu geringe noch zu hohe Tätigkeitsspielräume als ideal gelten (Wieland et al., 2004). Das heißt im Umkehrschluss, dass es besonders gilt, den Wunsch nach Partizipation der Beteiligten überhaupt erstmal systematisch zu erfassen.
Negative Auswirkungen personaler Partizipation
Die Vorteile von Mitarbeiterpartizipation sind seit langem gut erforscht, allerdings sollen auch mögliche Nachteile nicht verheimlicht werden. Mit der Einführung von Partizipationskonzepten werden Kosten entstehen, z. B. durch einstehenden Schulungsbedarf der Teilnehmer sowie möglichen Zeitverzögerungen. Darüber hinaus ist mit einer starken Angst vor Machtverlusten oder dem allgemeinem Neulernen zu rechnen. Es kann zu Rollenambiguitäten kommen mit unklarer Verantwortungszuschreibung. Wie bei jedem neuen Vorstoß in eine neue Organisationskultur besteht die Gefahr, dass unrealistische Erwartungen nicht erfüllt werden können.
Partizipation messen
Diagnostik (Fragebogen zur Beschäftigtenpartizipation)
Bevor Sie sich mit Konzepten oder neuer IT vertraut machen, sollten Sie zu aller erst eine systematische Analyse der individuell wahrgenommen Partizipation und deren Vorbedingungen z. B. in Form einer anonymen Mitarbeiterbefragungen (oder eine Stichprobe aus der Organisation) durchführen.
Wir setzten hierfür ein Erhebungsinstrument ein, dass auf der Ebene der operativen und taktischen Entscheidungsbeteiligung (optional auch strategische Entscheidungen) den Grad der Partizipation erfasst (von „keiner Information“ bis „Mitbestimmung“).
Um Aussagen zu den tatsächlichen Wunsch nach Partizipation sowie über Veränderungspotenziale zu treffen, wird neben dem IST-Zustand auch der gewünschte WUNSCH-Zustand erfasst. Darüber hinaus werden die Vorbedingungen erfolgreicher personaler Partizipation gemessen.
Merke!
Sie haben nun gelernt Partizipation zu verstehen und zu messen.
Mitarbeiterpartizipation ist je nach vorherrschenden Bedingungen in der Organisation und Ihrer Beschäftigten realisierbar. Mitarbeiterpartizipation als Konzept sollte selbst ein partizipativ gestalteter Entwicklungsprozess sein!
Literatur
Scholl, W. (2007). Grundkonzepte der Organisation. In H. Schuler, H. Brandstätter, W. Bungard, S. Greif, E. Ulich & B. Wilpert (Hrsg.), Lehrbuch Organisationspsychologie (S. 515-556). Bern: Huber.
Weber, W. G. (1999b). Organisationale Demokratie – Anregungen für innovative Arbeisformen jenseits bloßer Partizipation? Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 53, 270-281
Wegge, J., Jeppesen, H. J., Weber, W. G., Pearce, C. L., Silva, S. A., Pundt, A., Jonsson, T., Wolf, S., Wassenaar, C. L., Unterrainer, C. & Piecha, A. (2010). Promoting work motivation in organizations. Should employee involvement in organizational leadership become a new tool in the organizational psychologist’s kit? Journal of Personnel Psychology, 9(4), 154-171.
Wegge, J. (2004). Führung von Arbeitsgruppen. Göttingen: Hogrefe.
Wieland, R., Klemens, S., Scherrer, K., Timm, E., & Krajewski, J. (2004). Moderne IT-Arbeitswelt gestalten. Anforderungen, Belastungen und Ressourcen in der IT-Branche, Techniker Krankenkasse, Hamburg.
Wilpert, B. (1993). Führung und Partizipation im interkulturellen Vergleich. In T. Alexander (Hrsg.), Kulturvergleichende Psychologie (S. 359-375). Göttingen: Hogrefe.
Wunderer, R. & Grunwald, W. (1980). Führungslehre. Berlin: de Gruyter.