Warum Arbeitsgestaltung und Organisationsdesign untrennbar sind
In Zeiten von VUCA reicht es nicht mehr, Mitarbeitende nur punktuell zu entlasten oder mit Soft-Skills-Trainings zu versorgen. Die wirklich tiefgreifenden Hebel für Motivation, Leistung und Gesundheit liegen in den Strukturen, Prozessen und Machtverteilungen unserer Organisationen – also in ihrem Organisationsdesign. Aber wie übersetzen wir diese oft abstrakten Entscheidungen in das, was Mitarbeitende jeden Tag tatsächlich erleben?
An dieser Stelle setzt das SMART-Work-Design Modell von Parker & Knight (2024) an. Es verknüpft fünf zentrale Arbeitsmerkmale direkt mit den Grundprinzipien, nach denen Unternehmen Arbeit aufteilen, steuern und koordinieren. So wird klar: Wenn wir Organisationen bewusst gestalten, gestalten wir auch die Qualität der Arbeit – und umgekehrt. Der Zusammenhang zwischen Organisationsdesign und erlebter Arbeit:
- Horizontale Arbeitsteilung: Definiert, ob unsere Aufgaben fragmentiert oder ganzheitlich sind (Stimulierend).
- Informationsflüsse: Bestimmen, wie klar unsere Rolle und unser Entwicklungsweg sind (Meisterschaft).
- Vertikale Arbeitsteilung: Legt fest, wer Entscheidungen trifft und wer nur umsetzt (Autonom).
- Soziale Prozesse: Formen unsere Verbundenheit, unseren Sinn und Unterstützungsnetzwerke (Relational).
- Ressourcenallokation: Entscheidet über die Intensität der Arbeitsbelastung (Tolerierbar).
Jede dieser strukturellen Entscheidungen wirkt sich unmittelbar darauf aus, wie motiviert, gesund und leistungsfähig Mitarbeitende sind. Das SMART-Modell ermöglicht, die Ursachen von Belastungen und Motivationsdefiziten systematisch zu erkennen und gezielt auf die Struktur zu wirken – anstatt allein Symptome zu behandeln.
SMART-Work-Design Modell
Das SMART-Modell unterscheidet fünf höhergeordnete Arbeitseigenschaften, die jeweils aus organisatorischen Entscheidungen resultieren. Zu jedem Faktor erläutern wir kurz den theoretischen Kern, nennen ein konkretes Praxisbeispiel und zeigen, welcher strukturelle Hebel dahintersteckt.
2.1 Stimulierende Arbeitsmerkmale
- Was es ist: Mentale Vielfalt und Komplexität – die Chance, mehrere Fähigkeiten einzusetzen und kreative Lösungen zu finden.
- Praxisbeispiel: Ein Produktmanager übernimmt nicht nur Marktanalysen, sondern gestaltet auch den Prototypen, testet ihn mit Kunden und passt die Roadmap an.
- Verbindung zum Organisationsdesign: Horizontale Arbeitsteilung – wie werden Aufgaben gebündelt oder fragmentiert?
- Mehrwert: Wenn Aufgaben ganzheitlich gestaltet sind, entsteht echte Abwechslung und Mitarbeitende erfahren Arbeit als bedeutungsvoll statt monoton.
2.2 Meisterschaftsbezogene Arbeitsmerkmale
- Was es ist: Klarheit darüber, was die eigene Rolle ist, und regelmäßiges, zielgerichtetes Feedback.
- Praxisbeispiel: In einem DevOps-Team gibt es täglich kurze Retrospektiven: Jede:r Entwickler:in weiß sofort, was gut lief, wo Nachbesserung nötig ist und wie das eigene Ergebnis ins Gesamtbild passt.
- Verbindung zum Organisationsdesign: Koordination via Information – wie fließen Ziele, Standards und Rückmeldungen durch die Organisation?
- Mehrwert: Rollenklarheit und Feedback reduzieren Unsicherheit und Beförderungshemmnisse, stärken das Lernklima und die Leistung.
2.3 Autonome Arbeitsmerkmale
- Was es ist: Entscheidungsfreiheit über Zeitpläne, Arbeitsmethoden und Inhalte.
- Praxisbeispiel: Ein Sales-Team definiert eigenverantwortlich, welche Kundensegmente Priorität haben und wann sie ihre Kundentermine planen.
- Verbindung zum Organisationsdesign: Vertikale Arbeitsteilung – wie stark ist die Hierarchie, wer hält die Zügel in der Hand?
- Mehrwert: Mehr Autonomie steigert Verantwortungsgefühl und Eigeninitiative, was wiederum zu höherer Innovationskraft führt.
2.4 Beziehungsbezogene Arbeitsmerkmale
- Was es ist: Soziale Unterstützung, Kontakt zu den Begünstigten der eigenen Arbeit und Sinn-Erleben.
- Praxisbeispiel: Pflegekräfte bekommen systematisch Patient:innen-Rückmeldungen, erleben direkten Dank und tauschen sich regelmäßig in Team-Jour Fixes aus.
- Verbindung zum Organisationsdesign: Soziale Integration – wie sind Netzwerke, Communities und Teamstrukturen organisiert?
- Mehrwert: Enge Zusammenarbeit und sichtbare Wirkung auf andere fördern Zusammenhalt, Zugehörigkeit und Arbeitszufriedenheit.
2.5 Tolerierbare Arbeitsmerkmale
- Was es ist: Belastungen wie Zeitdruck, Rollenkonflikte oder Work-Life-Konflikte bleiben in einem verträglichen Rahmen.
- Praxisbeispiel: In einer Marketing-Agentur wird die Peak-Saison durch ein flexibles Ressourcentool gemanagt, Deadlines werden realistisch geplant und Überstunden durch Freizeitausgleich kompensiert.
- Verbindung zum Organisationsdesign: Erwarteter Aufwand – wie werden Ziele gesetzt, wie viele Ressourcen stehen zur Verfügung?
- Mehrwert: Eine ausgewogene Arbeitslast beugt Burnout vor, reduziert Krankheitstage und steigert die langfristige Leistungsfähigkeit.
Praxisbeispiel
In einer Mitarbeiterbefragung (MAB) stellte ein mittelständisches IT-Unternehmen folgende Muster fest:
- Hohe Überlastung in mehreren Teams: Mitarbeitende gaben an, regelmäßig zu viele Aufgaben in zu kurzer Zeit bearbeiten zu müssen.
- Unklare Verantwortlichkeiten: Viele Befragte wussten nicht, wer für Entscheidungen im Projekt zuständig war.
- Seltenes Feedback: Mitarbeitende erhielten kaum Rückmeldung zu ihrer Arbeit.
Zuordnung zu SMART-Faktoren
- Tolerierbar: Überlastung → Ressourcenallokation (Erwarteter Aufwand)
- Meisterschaft: Unklare Rollen & fehlendes Feedback → Koordination via Information
- Autonom: Entscheidungswege zu lang → Vertikale Arbeitsteilung
Systemische Intervention
Statt einzelne Trainings oder Personalaufstockung zu beschließen, lud die HR gemeinsam mit der Geschäftsleitung je ein kleines Team pro Bereich zu einem SMART-Design-Workshop ein. Vorgehen:
- Ergebnis-Interpretation nach SMART: Jede Gruppe ordnete ihre MAB-Ergebnisse den drei Faktoren zu und diskutierte, welche Strukturentscheidungen dahinterstehen.
Hebelidentifikation: Aus der Strukturperspektive wurden folgende Hebel erkannt:
- Rollenklärung in Projekt-Charters (Meisterschaft)
- Delegationsmatrix zur Beschleunigung von Entscheidungen (Autonomie)
- Flexible Kapazitätspools für Spitzenzeiten (Tolerierbar)
Schnelle Umsetzungsschritte:
- Einführung wöchentlicher Kurz-Reviews in jedem Team (Feedback)
- Rollenclearing-Workshop mit verbindlicher Dokumentation in einem zentralen SharePoint (Rollen)
- Pilot „On-Demand-Ressourcen“: Mitarbeitende können kurzfristig auf ein internes Experten-Netzwerk zugreifen, wenn sie Zeitreserven benötigen (Ressourcenmanagement)
Das SMART Work Design Modell macht deutlich: Arbeitsqualität entsteht durch Organisationsstrukturen. Wer in der Lage ist, horizontale und vertikale Arbeitsteilung, Informationsflüsse, soziale Prozesse und Ressourcenverteilung systemisch zu verstehen und zu gestalten, schafft Arbeitsumgebungen, in denen Mitarbeitende gesünder, motivierter und leistungsfähiger arbeiten. Die Verbindung von MAB-Ergebnissen mit SMART liefert einen klaren Fahrplan, um aus Diagnosedaten echte, strukturverändernde Maßnahmen abzuleiten – für eine zukunftsfähige Arbeitsgestaltung.
Unsere NWI Berater:innen unterstützen Sie gern bei der Durchführung einer Mitarbeitendenbefragung – von der zielgerichteten Gestaltung über die SMART-basierte Auswertung bis hin zur gemeinsamen Entwicklung wirksamer struktureller Maßnahmen.
Literatur
Parker, S. K., & Knight, C. (2023). The SMART model of work design: A higher order structure to help see the wood from the trees. Human Resource Management, 63(2), 265–291. https://doi.org/10.1002/hrm.22200